Bis 1,5°C ist es nicht mehr weit
Nicht nur der deutsche Kohleausstieg muss vorgezogen werden. Auch an der deutsch-polnischen Grenze ist es für den Tagebau in Turow Zeit für einen Strukturwandel, damit Europa spätestens 2030 kohlefrei ist.
Hier dazu Auszüge aus der Zusammenfassung der neuesten Studie von Prof. Dr. Zbigniew M. Karaczun und Dr Andrzej Kassenberg:
Analyse der Auswirkungen der Tagebauerweiterung und des Kraftwerks in Turów auf die polnischen Verpflichtungen im Bereich des Klimaschutzes
Das Klima und insbesondere seine Stabilität ist ein Gemeingut. Dies bedeutet, dass niemand vom Recht ausgeschlossen werden kann, dieses Gut in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig tragen alle Nutzer eine besondere Verantwortung, das Klima stabil zu halten, damit es den Menschen – der gegenwärtigen als auch zukünftigen Generationen – weiter von Nutzen sein kann. Dies ist besonders wichtig angesichts des schnell fortschreitenden Klimawandels.
Daher sollte man sich bei Entscheidungen über Investitionen, die die Klimastabilität beeinträchtigen können, an den Vorsorge- und Präventionsgrundsätzen orientieren. Dies bedeutet, dass Investoren, bei Geschäftstätigkeiten, die sich negativ auf die natürliche Umwelt auswirken können (in diesem Fall Klimastabilität), verpflichtet sind, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen zu mindern.
Die derzeitigen Verpflichtungen zur Umsetzung des Pariser Abkommens sehen eine Reduzierung der Emissionen um 40% bis 2030 im Vergleich zu 1990 vor. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des EU-Klimaneutralitätsziels bis 2050 im Herbst 2019 wird jedoch erwogen, das derzeitige Reduktionsziel auf 50 bis 55% zu erhöhen. Einige Vorschläge sehen eine Reduzierung um mindestens 65% bis 2030 vor. Obwohl Polen als einziger EU-Mitgliedstaat das Ziel der Klimaneutralität nicht akzeptiert hat, ist zu erwarten, dass das neue Reduktionsziel – falls es von der EU angenommen wird – auch für unser Land (Polen) gilt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen erheblich gesenkt werden, auch – und vielleicht vor allem – von Energieanlagen, in denen fossile Brennstoffe verbrannt werden.
Die Entschlossenheit der EU im Hinblick auf die Verfolgung des Klimaschutzes zeigt sich auch darin, dass die Höhe der Unterstützung, die Polen im Rahmen des Just Transistion Fonds erhalten wird, von der Annahme des Ziels der Klimaneutralität abhängt.
Das Kraftwerk Turów ist eine Wärmeenergieanlage. Das Kraftwerk betreibt sechs Einheiten und der Bau der Einheit 7 ist abgeschlossen, wodurch die Erzeugung von 1984,1 MWe elektrischem Strom erzielt werden kann, das heißt ca. 5% der gesamten Kapazität aller konventionellen Wärmekraftwerke in Polen.
Es wird davon ausgegangen, dass die jährliche Kohleproduktion in den Jahren 2020 – 2038 zwischen 9,0 Mio. Mg und 11,5 Mio. Mg schwankt und in den Jahren 2039 – 2044 auf 3,5 – 7,0 Mio. Mg Braunkohle pro Jahr sinken wird. Im diskutierten Zeitraum können die kombinierten Emissionen des Tagebaus und der Kraftwerke zwischen 194,6 und 261,4 Millionen Mg CO2eq liegen, was einer durchschnittlichen Emission von 8,1 bis 10,9 Millionen Mg CO2eq pro Jahr entspricht.
Bezieht man diese Werte auf das Polen zur Verfügung stehende Kohlebudget, das sich aus der Möglichkeit die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen ergibt, stellt man fest, dass der weitere Betrieb der Mine und des Kraftwerks in Turów erhebliche Auswirkungen darauf haben wird. Unter der Annahme, dass die Größe dieses Budgets maximal 570 Millionen Mg CO2eq (mit dem Ziel, den Temperaturanstieg auf > 1,5 °C zu halten) und 3,46 Milliarden Mg CO2eq (mit dem Ziel > 2 °C) beträgt, verbrauchen die Emissionen von Turów 5 – 7% dieses Budgets (für das Ziel > 2 °C) bis zu 34 – 45% (für das Ziel > 1,5 °C).
Ausgehend von den Schätzungen der Universität Standford, dass die gesellschaftlichen Kosten der Treibhausgasemissionen ca. USD 220 / Mg CO2eq betragen, können für den Ausbau der Braunkohlegrube und die Verlängerung des Betriebs des Kraftwerks Turów bis 2044 zwischen 41,25 und 55,66 Milliarden US-Dollar an weltweit gesellschaftlichen Schäden durch den Klimawandel abgeschätzt werden.
Polen ist Vertragspartei des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und hat das Pariser Abkommen ratifiziert. Rechtliche Verpflichtungen in Bezug auf den Klimaschutz und die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ergeben sich auch aus der Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union, die sich verpflichtet hat, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Und obwohl Polen als einziger Mitgliedsstaat die Klimaneutralität bisher nicht akzeptiert hat, werden sie früher oder später zumindest aus wirtschaftlichen Gründen zustimmen müssen. Nach dem aktuellen Transition-Fond könnte Polen 4 Milliarden Euro erhalten, aber die Hälfte davon wird eingefroren, bis die polnischen Behörden den Klimazielen der EU zustimmen.
Die planmäßige Aufrechterhaltung des Tagebaubetriebs plus Kraftwerk würde Polen zu einem Land mit geringer globaler Verantwortung und ohne Sorge um die Generationengerechtigkeit abstempeln.
Hier ist die englische Übersetzung der kompletten Studie verlinkt.